Anlasslich des 100. Jubiläums unserer Gemeinde hat unser langjähriger Vorstandsvorsitzender Hans Brunner den folgenden Bericht verfasst:
Bericht zum 100-jährigen Jubiläum der
Evangelischen Gemeinschaft Bruchköbel e.V.
Wenn wir heute auf das Jahr 1913 zurück blenden, um einer 100-jährigen Geschichte nachzugehen, dann möchte ich das in großer Dankbarkeit gegenüber Gott tun, der in dieser langen Zeit unsere Gemeinschaft mit seiner Treue begleitet und gesegnet hat.
Ich möchte diesen Bericht unter das Wort aus Ps. 103,2 stellen: Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was Er dir Gutes getan hat.
Das Datum, auf das wir heute zurückschauen, ist der 19. November 1913. An diesem Tag trafen sich 36 Männer und Frauen, um in einer Generalversammlung die Satzungen zu unterschreiben, die als Grundlage für die Eintragung in das Vereinsregister beim Amtsgericht Hanau gebraucht wurden. Zweck dieses Zusammenschlusses laut Satzungen war: Das Wort Gottes volkstümlich zu verkündigen, christliche Gemeinschaft zu pflegen und christliche Literatur zu verbreiten.
Die Wurzeln unserer Gemeinschaft liegen allerdings schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Männer und Frauen aus unserem Dorf waren durch die erweckliche Verkündigung von Pfarrer Wittekindt in Mittelbuchen – Vater des späteren in Oberissigheim tätigen Pfarrers Leopold Wittekindt- zum Glauben an Jesus Christus gekommen. Auch der Einfluss der evangelistischen Tätigkeit von Elias Schrenk auf den geistlichen Aufbruch im Hanauer Land soll nicht unerwähnt bleiben. Man traf sich während der Woche zum Bibellesen und Beten im Hause der Gebrüder Philipp und Heinrich Stöppler, dann aber auch am Sonntag zur Gemeinschaftsstunde. Gegen Ende des Jahrhunderts erkannte man, dass man auch für die Kinder christliche Verantwortung habe. Man nannte diese Zusammenkünfte Sonntagsschule, bei der oft 20 – 30 Kinder anwesend waren. Man höre und staune, zu welchem Zeitpunkt das Treffen stattfand: zunächst am Sonntagabend um 20.00 Uhr, später um die Mittagszeit 12.15 Uhr.
Aus einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1913 geht hervor, dass sich die Verantwortlichen der Sonntagsschule zu einer Beratung trafen, weil an diesem Tag 65 Kinder teilgenommen hatten, und dafür auch das große Wohnzimmer im Hause Stöppler zu eng geworden war.
Man beschloss, kleinere und größere Kinder getrennt, in verschiedenen Häusern zu unterrichten.
Die Aktivitäten der damaligen Gemeinschaft waren vielfältig. So ist z.B. in einem Tagebuch nachzulesen, dass 1907 die erste Evangelisation in der alten Turnhalle in Bruchköbel abgehalten wurde. Ebenfalls in der Turnhalle wurde 1909 die erste Gemeinschaftskonferenz mit Pfarrer Leopold Wittekindt durchgeführt.
Eine Kinderweihnachtsfeier mit ca 400 Besuchern fand 1912 im großen Saal der Gastwirtschaft Leistner statt. Anfangs 1913 wurde eine Evangelisation mit Prediger Herrmann ebenfalls im Saal Leistner veranstaltet. Seit 1907 gab es die Einrichtung der Sommer- und Gartenfeste. Sie wurden regelmäßig am 1. Sonntag im August im Garten der Familie Heinrich Heck, schräg gegenüber unserem heutigen Saalgebäude abgehalten.
Die Gründung des Gemischten Chores wird auf 1908 datiert. Der Posaunenchor besteht seit 1913. Im Laufe der Jahre wurde der Wunsch, verbindliche Gemeinschaft auch nach außen darzustellen, immer stärker. Die neu entstandenen Gemeinschaften im Hanauer Land pflegten unter der Anleitung von Pfarrer Wittekindt regen Austausch untereinander.
Da die Gemeinschaftsarbeit von Anfang an eine Laienbewegung war, wurden zunächst alle Veranstaltungen, wie Gemeinschafts- und Bibelstunden, sowie die Sonntagsschule von Brüdern der eigenen Gemeinschaft abgehalten. Später fand ein Austausch mit Brüdern der umliegenden Ortschaften statt.
Seit 1909 war Prediger Karl Häcker vom Hessen-Nassauischen-Gemeinschaftsverein angestellt, der außer der Arbeit in der Stadt Hanau auch die neu entstandenen Kreise im Hanauer Land betreute. Er war bis 1922 tätig.
Verbindliche Arbeit nach außen wurde schließlich, und das ist auch heute der Grund unseres Jubiläums, dadurch dokumentiert, indem am 19. November 1913 der Landeskirchliche Gemeinschaftsverein e.V. gegründet wurde.
Die Kriegsjahre 1914-18 gestalteten sich für die Arbeit insgesamt schwierig, da die jungen Männer zum Kriegsdienst eingezogen waren. Hier haben oft die Frauen die Sonntagsschularbeit und andere Verpflichtungen in der Gemeinschaft übernommen. Der Jugendbund wurde 1923 gegründet.
Der Wunsch, ein eigenes Haus zu besitzen, in dem man alle Veranstaltungen abhalten konnte, wurde in der Nachkriegszeit unter den Mitgliedern immer dringender. Nach vielen Beratungen, wurde in einer wirtschaftlich schweren Situation schließlich der Saalbau 1925 begonnen und am 19. September 1926 eingeweiht.
Die schon damals großzügige Planung zeugt von einer in die Zukunft weisenden Arbeit.
Die finanziellen Mittel wurden durch die Spende eines Grundstückes, über den Verkauf von Vieh und anderem Vermögen erbracht. Dazu wurde die meiste Bauarbeit in Selbsthilfe getan. Im Einweihungsbericht ist zu lesen: „Dass dieses Haus gebaut werden konnte, ist ein Wunder vor unseren Augen.“
Die Zeit des 3. Reiches und der 2. Weltkrieg sind auch an unserer Gemeinschaft nicht spurlos vorübergegangen. Neben 3 jungen Männern unserer Gemeinschaft, die nicht mehr aus dem Krieg zurück kamen, wurde 1944 unser Gemeinschaftshaus von der deutschen Wehrmacht beschlagnahmt.
In diesen notvollen Zeiten waren wir als Gemeinschaft wieder darauf angewiesen unsere Veranstaltungen „hin und her in den Häusern“ abzuhalten. Man hat damals unsere Arbeit kritisch beobachtet und oft spöttisch belächelt. Auch wurde einer unserer Brüder von der Gestapo vorgeladen und verhört. Ansonsten hat man aber unsere Arbeit geduldet.
Nach Kriegsende zogen die amerikanischen Besatzungstruppen in unseren Saal ein. Anschließend war er mit Flüchtlingen aus den Ostgebieten belegt, und schließlich wurde er noch für schulische Zwecke benutzt. Im Sommer 1947 erhielten wir unser Haus wieder zurück und konnten im September mit großer Freude und Dankbarkeit die erste Nachkriegs-Allianzkonferenz abhalten.
Die Nachkriegszeit war geprägt von einem inneren Aufbruch. Überall im Hessenland fanden Jugendfreizeiten und Evangelisationen statt, in denen junge Menschen zum Glauben an Jesus Christus kamen. Auch die Bezirksarbeit wurde neu aufgenommen. Die ersten hauptamtlichen Prediger waren: Edmund Lieske und Hans Gregor, die sich mit großem Einsatz der neu aufblühenden Gemeinschafts- und Jugendarbeit annahmen.
Weitere Prediger und Jugendmissionarinnen führten die Arbeit fort.
Nach den Aufzeichnungen waren bis zur Teilung des Bezirkes 1995, 20 Prediger und 4 Jugendmissionarinnen für die Gemeinschaft Bruchköbel zuständig.
Der erste Gemeindeleiter war Philipp Stöppler I.
Ihm folgte Jean Altvater, ein vielseitig begabter Mann, der ein weites Herz für die Kinder hatte.
Die längste Zeit der Verantwortung lag in den Händen von Heinrich Weil, der dieses Amt ca. 35 Jahre inne hatte.
1971 konnten wir unser Saalgebäude durch einen Vorbau erweitern. Es erfolgten weitere Um- und Ausbaumaßnahmen zur Verschönerung und Modernisierung unseres Hauses.
Ende der 70er Jahre wurde der Wunsch, ein eigenes Wohnhaus für einen hauptamtlichen Mitarbeiter zu haben, im Bezirksvorstand diskutiert. Der Standort Bruchköbel wurde zwar in Erwägung gezogen, aber dann wieder beiseite gelegt, weil drei Gründe dagegen sprachen:
1. Bruchköbel lag nicht zentral in dem großen Arbeitsbezirk, der von Bergen- Enkheim bis nach Wächtersbach reichte.
2. Während alle anderen Gemeinschaften, Grundstücke und Häuser dem damaligen Hessen-Nassauischen Gemeinschaftsverband Melsungen übertragen hatten, bildete Bruchköbel die Ausnahme. Um diese Tatsache besser verstehen zu können, sei bemerkt, dass zu der Zeit noch direkte Nachkommen des Grundstückspenders lebten.
3. Es waren schlicht und einfach keine finanziellen Mittel vorhanden, um ein solches Projekt auf die Beine zu stellen.
Trotzdem ließ uns der Standort Bruchköbel nicht los. In vielen Gesprächen mit betroffenen Personen, in Diskussionen im Gemeinschafts- und Bezirksvorstand, sowie in der hiesigen Mitgliederversammlung wurden Bedenken und Vorurteile ausgeräumt. Manche Woge musste geglättet werden, damit letzten Endes ein einmütiger Beschluss, das Haus zu bauen, verwirklicht werden konnte.
Die veranschlagten Baukosten beliefen sich auf DM 300.000. Die erste Sammlung auf der Frühjahrskonferenz 1980 ergab die Summe von DM 3.500,00. Trotzdem wagten wir es, im Vertrauen auf Gott, dass er die Herzen der Mitglieder für die Sache öffnen kann, den Bau zu beginnen. Schließlich hatten wir solche positiven Erfahrungen schon öfter gemacht.
Viele Männer und Frauen aus unserer Gemeinschaft und aus dem Bezirk packten die Arbeit nicht nur praktisch an, sondern unterstützten das Bauen auch noch großzügig mit Spenden.
Nach ca. 15 Monaten Bauzeit konnte Familie Becker am 15.10.81 in das Haus einziehen.
Die Kosten bis zu diesem Zeitpunkt betrugen gut die Hälfte dessen, was veranschlagt war.
Alle Rechnungen waren bezahlt, ein kleiner Überschuss konnte für Außenarbeiten bereitgestellt werden.
Beispielhaft habe ich diesen Hausbau etwas stärker in den Mittelpunkt gestellt, weil nicht nur unsere Generation, sondern auch unsere Vorväter – und Mütter solche Erfahrungen gemacht hatten, Erfahrungen, die man einfach als Wunder, die Gott gewirkt hat, bezeichnen kann.
Gott hat das, was sie und wir in seinem Namen unter die Hände und Füße genommen haben, gesegnet. Das wird durchgängig in den Aufzeichnungen und Protokollen der Jahresberichte und Mitgliedervsammlungen über die Jahrzehnte deutlich.
Aber ich denke, dass es auch richtig, vielleicht sogar wichtig ist, wenn wir die Krisen dieser 100 Jahre erwähnen, weil wir auch in diesen schweren Zeiten die Durchhilfe und gnädige Fürsorge und Bewahrung Gottes erfahren haben. Die Anlässe kamen teils von innen, teils von außen. Auch unsere Gemeinschaft wurde in die Auseinandersetzung mit der 1906/7 von Wales herübergeschwappten Zungenbewegung hineingezogen. Von 1922 wird berichtet, dass es eine Verleumdungskampagne von Seiten einiger Bruchköbeler Bürger gab, die sich einfach über die wachsende Arbeit der Frommen ärgerten. Mitte der 60er Jahre ging es durch notvolle Auseinandersetzungen, die letztlich in schmerzlichen Trennungen endeten.
Über allem, so dürfen wir aber heute dankbar sagen, hat uns unser Herr in seiner Treue begleitet. Er hat über unsrer Gemeinschaft gewacht.
Er hat immer wieder den Geist der Einheit und des einmütigen Handelns geschenkt.
An der Stirnwand unseres Saales stand viele Jahre das Wort Jesu aus Math. 23,8 : „Einer ist euer Meister, Christus, ihr aber seid alle Brüder.“
Dass diese Gesinnung unsere gemeinsame Arbeit in der Evangelischen Gemeinschaft Bruchköbel bestimmen möge, das ist mein Wunsch an diesem 100-jährigen Jubiläum für die nächsten Jahrzehnte und für die jüngere Generation, die diese Arbeit verantwortlich weiter führt.